Freitag, 7. Juli 2017

Mini-Jobs versus Maxi-Jobs: Broterwerb in Europa


Die Arbeitslosigkeit (*) lag im Euroraum im Mai 2017 bei 9,3%. Das bedeutet ein Rückgang gegenüber 10,2% im Mai 2016.

Die Arbeitslosenquote ist damit in diesem Jahr zum ersten Mal seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise von 2008-2009 unter 10% gesunken. Seit Anfang 2013 sind rund 6 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.

Aber es handelt sich dabei vielfach um „low-quality“ Jobs, wie Mario Draghi am 8. Juni 2017 in Tallinn auf der Pressekonferenz der EZB mit Bedauern festgehalten hat.

Die EZB unterstreicht in der am Donnerstag veröffentlichten Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des EZB-Rates von 7-8 Juli 2017 noch einmal, dass der Beschäftigungszuwachs bisher im erheblichen Umfang auf Teilzeit- und befristete Verträge zurückzuführen ist.

Die Teilnehmer der EZB-Sitzung hegen jedoch die Hoffnung, dass die Beschäftigung künftig auf mehr Vollzeit- und unbefristeten Verträgen beruht und damit einen ausgeprägten Aufwärtsdruck auf die Löhne ermöglichen kann.


Die Arbeitslosenquote im Euroraum ist zwar im Sinken ... , Graph: FT in: “The eurozone’s strange low-wage employment boom”, July 6, 2017.


Heiner Flassbeck hat vor Jahren mehrmals darauf hingewiesen, dass die Lohnzurückhaltung für die Nachfrageschwäche im Euroraum verantwortlich ist.

Es ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert, dass die EZB-Mitglieder in den aktuellen Sitzungsnotizen in aller Offenheit eingestehen, dass weitere Arbeitsmarktreformen in einigen Euro-Ländern „eine sich mittelfristig fortsetzende Lohnzurückhaltung“ fördern könnten.


Aber die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen bleibt hoch, Graph: FT in: “The eurozone’s strange low-wage employment boom”, July 6, 2017.


Diese Entwicklung war von Anfang an ein offenes Geheimnis. Die harsche Austeritätspolitik hat die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gedämpft und damit die Kreditvergabe eingeschränkt. Daraufhin sind nicht nur die Unternehmensgewinne gesunken, sondern auch die Preise.

Allerdings ist die Bemerkung in der oben zitierten Sitzung der EZB, dass das niedrige Inflationsniveau der Vergangenheit zu einer sich fortsetzenden Lohnzurückhaltung beitragen werde, falsch.

Denn es ist genau umgekehrt: Die Inflation ist niedrig, weil die Löhne stagnieren, real sogar rückgängig sind.

Das Inflationsniveau bleibt gedrückt, weil die Lohnmoderation fortbesteht und die EU-Behörden die Kürzung der Ausgaben fördern, anstatt öffentliche Investitionen in produktive Projekte zu erhöhen.


Unterbeschäftigung im Euroraum, Graph: FT in: “The eurozone’s strange low-wage employment boom”



Es ist daher eigenartig, wenn diejenigen, die fiscal austerity verordnen und damit für die Nullzinsen im Euroraum verantwortlich sind, heute, dir nichts mir nichts, das Ende der lockeren Geldpolitik durch die EZB fordern, weil angeblich die Geldpolitik die Misere eingebrockt hat.

Peter Praet, EZB-Volkswirt sagt es auch öffentlich im Rahmen eines am Donnerstag gehaltenen Referats, dass die Inflation im Euroraum „wegen der gedämpften Lohndynamik“ niedrig bleibe.

Das bisher geäusserte Narrativ legt im Grunde genommen nahe, dass Deutschland keine „Mini-Jobs“, sondern „Maxi-Jobs“ braucht.

Jeder vierte Arbeitnehmer in Deutschland ist im Niedriglohnsektor beschäftigt, was deutlich über dem Durchschnitt im Euroraum von 15,9% liegt.

Stefan Sell erläutert in einem lesenswerten Beitrag im Blog Makronom, dass von den Mini-Jobbern 48,9% einen anerkannten Berufsabschluss haben, nur 19,3% haben keinen Berufsabschluss. 


Zahl der Minijobs pro Minijobber, Graph: Stefan Sell in: Makronom


Temporäre Arbeitsplätze bedeuten temporäre Beschäftigung und damit schwere soziale Unsicherheit. 

Die Quote der Unterbeschäftigung beträgt mit 18% doppelt so hoch wie die offizielle Arbeitslosenquote. Wenn die vorübergehenden Probleme anhalten, besteht die Gefahr des Hysterese-Effektes.




(*) Gemäss Schätzung von Eurostat waren im Mai 2017 in der EU28 insgesamt 19,092 Millionen Männer und Frauen arbeitslos.



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