Freitag, 18. November 2016

Lohnwachstum, Beschäftigung und Preisstabilität im Euroraum


Die EZB hat gestern die Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung („accounts“) des Rates der EZB veröffentlicht. 

In einem kurzen Abschnitt ist zu lesen, dass die EZB auch über die Entwicklung der Löhne im Euroraum diskutiert hat. Mehrere Teilnehmer hätten auf die relativ gedämpfte Lohndynamik hingewiesen.

Das historisch niedrige Lohnwachstum sei im zweiten Quartal 2016 auf 1,1% gesunken (*). 

Die Schattenseite der „schwachen Lohndynamik“ ist m.a.W. nicht zu übersehen. Das niedrige Lohnwachstum führen die Teilnehmer der EZB-Sitzung allerdings auf einige länderspezifischen Faktoren, wie die schwache Wettbewerbsfähigkeit und das geringe Produktivitätswachstum.

Der Erklärungsversuch ist aber bei allem Respekt ziemlich pathetisch. Denn das gedrückte Lohnwachstum ist eine unmittelbare Folge der Wirtschaftspolitik, die die EU-Behörden vorantreiben: „internal devaluation“.

Fallen die Löhne, steigt die Arbeitslosigkeit. Wenn sich die Einkommensaussichten verschlechtern, halten sich private Haushalte mit dem Konsum zurück.

Genau wie Mark Thoma in einem lesenswerten Artikel in CBS money watch unterstreicht: wenn die Verbraucher über ihre Arbeitsplätze besorgt sind, und viele Menschen arbeitslos sind, wie können wir erwarten, dass sie dazu übergehen, auf Kredit dauerhafte Güter zu kaufen?


Rückgang des Lohnwachstums im Euroraum, Graph: Morgan Stanley

Wenn private Haushalte den Konsum reduzieren, stellen Unternehmen Investitionen zurück. Wenn auch die öffentliche Hand weniger investiert, wie Yves Mersch, Mitglied des EZB-Direktoriums gestern in einem Referat in Frankfurt betont, dann entsteht gesamtwirtschaftlich eine Abwärtsspirale und das Wirtschaftswachstum kommt zum Erliegen.

Die niedrigen Zinsen sind also auf das verlangsamte Wachstum zurückzuführen. Da die Geldpolitik an der Nullzins-Grenze („zero lower bound“) an Zugkraft verliert, ist Unterstützung aus der Politik notwendig.

Die wirtschaftliche Erholung kann nicht allein von der Geldpolitik getragen werden. Um eine Trendwende im Wachstum herbeizuführen, muss auch die Fiskalpolitik eingesetzt werden. Nur so kann sich die Geldpolitik wieder normalisieren, wie Mersch weiter darlegt. Peter Praet, EZB-Volkswirt hat am Montag in einem Referat darauf hingewiesen, Fiskalpolitik einzusetzen, um das Wirtschaftswachstum anzuregen.


Die aktuelle Inflationsrate versus Zielinflationsrate der Zentralbanken, Graph: Morgan Stanley

Und ohne Lohnwachstum gibt es keinen Inflationsdruck, auch wenn die Notenbankgeldmenge (monetary base) sehr stark anschwellt. Der private Verbrauch hängt vom Einkommen ab; das ist für die breite Masse im Euroraum der Lohn. Kein Wunder, dass die Mehrzahl der Notenbanken in den fortentwickelten Volkswirtschaften die eigene Zielinflationsrate unterlaufen.

Wie Mario Draghi heute in einem Vortag in Frankfurt argumentiert, unterstützt eine schnelle Rückkehr zur Vollbeschäftigung die Preisstabilität eindeutig, weil damit ein stärkerer Lohndruck einhergeht. Ein Anstieg der Arbeitskräfte animiert sowohl die Nachfrage als auch das Angebot (Potenzialwachstum).

Der Euroraum braucht eine angemessene Beschäftigungspolitik. Alles andere ist Augenwischerei.



(*) Bemerkenswert ist, dass dieser Abschnitt in der deutschen Übersetzung, die die Deutsche Bundesbank liefert, fehlt.





Keine Kommentare: