Sonntag, 3. November 2013

Die Tribute der Austerität – Tödliche Spiele

Die Handlung findet im Euro-Raum statt, einer Währungsunion in Europa. Die Union ist in 27 Distrikte (EU-Mitglieder) unterteilt. Jährlich werden sog. Leistungsbilanz Spiele veranstaltet. Dabei werden jeweils zwei sog. Tribute aus jedem Distrikt ausgelost und in eine künstlich umgestaltete Konkurrenz ausgesetzt: Wettbewerbsfähigkeit (rat race).

Diese wird von der herrschenden Lehre „Effizienzmarkt-Hypothese (neoclassical economics) aktiv unterstützt. Das Ziel ist es, die Mitstreiter zu töten, damit man selbst als Sieger aus den Spielen hervorgeht und am Ende eine Belohnung in Form von Exporten bekommt. Die Veranstaltung ist eine Machtdemonstration des Kapitols (Deutschland), um seine Überschüsse in der Leistungsbilanz mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.

Das ist natürlich eine Fiktion, inspiriert durch den Film Hunger Games. Aber die Ähnlichkeiten mit realen Gegebenheiten im Euro-Raum sind verblüffend. Die Debatte über die Ungleichgewichte in Europa hat durch den kürzlich veröffentlichten Bericht des US-Schatzamtes an den US-Kongress einen neuen Wendepunkt bekommen.

Das amerikanische Finanzministerium hält fest, dass Deutschland, während die EU-Peripherie mittlerweile ihre Defizite deutlich reduziert hat, nach wie vor auf die Exportwirtschaft setze und die Binnennachfrage vernachlässige. Das heisst, dass die Last der Anpassung im Euro-Raum einseitig auf den Schultern der Peripherie-Staaten getragen werde.



Leistungsbilanz in Prozent des BIP: Deutschland versus Spanien, GraphProf. Paul Krugman

Die deutsche Politik wehrt sich postwendend: „Wir sind ein starkes Exportland und stolz darauf“. Deutschland hat mit einer aggressiven Politik (Lohnzurückhaltung) zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit die anderen Ländern in der EWU gegen die Wand gefahren.

Nun verlangt die deutsche Regierung von den anderen Ländern eine „Germanisierung“ ihrer Wirtschaftspolitik. Die Wettbewerbsfähigkeit ist aber ein relatives Konzept: Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Die Welt als Ganzes kann ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessern. Deutschland hat gewaltige Überschüsse und die Peripherie gewaltige Defizite. Das kann nicht funktionieren. Das von Merkel und Schäuble befürwortete Rattenrennen der Nationen kann nur schaden.

Das anämische Tempo des Wachstums der Binnennachfrage und die Abhängigkeit von Exporten behindert Rebalancing zu einer Zeit, wo viele Länder der Eurozone unter einem starken Druck stehen, um Kosten und Preise nach unten zu korrigieren. Das Ergebnis sind deflationäre Tendenzen. Das Wachstum der Inlandsnachfrage in europäischen Volkswirtschaften mit Überschuss (in der Leistungsbilanz) würde dazu beitragen, eine dauerhafte Umgestaltung (rebalancing) der Ungleichgewichte in der Eurozone zu erleichtern, fasst das US-Treasury zusammen.



Deutschlands Forderungen im TARGET2 des Eurosystems, Graph: Prof. Paul Krugman

Deutschland fördert Austerität im Euro-Raum, trotz seines Gläubiger-Status und trägt damit zu einer allgemeinen Straffung der Geldpolitik im Euro-Raum bei. Im Grunde genommen greift Deutschland dank dem Target 2 in den Devisenmarkt ein, um den Wechselkurs von „Schatten-DEM“ nach unten zu drücken.

Es ist ohnehin absurd, dass ein Gläubigerland den restlichen Defizit-Ländern harsche Sparmassnahmen aufzwingt, während es selbst Überschüsse in Schutz nimmt.

PS: Die deutsche Regierung wirft Südeuropa vor, mit einer unverantwortlichen Haushaltspolitik die Regeln der EWU zu verletzen. Aber sie verschweigt, dass Deutschland seit der Einführung der Gemeinschaftswährung gegen das gemeinsam festgelegte Inflationsziel verstösst. Es hat das Inflationsziel unterlaufen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, zu Lasten der restlichen Eurozone. Übrigens: Man denke daran, dass die deutschen Unternehmen seit 10 Jahren Netto-Sparer sind. Wer in einer Wirtschaft spart, wo Sparparadoxon vorherrscht, macht die Welt ärmer.


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