Samstag, 4. Mai 2013

Haushaltskonsolidierung in Depression


Die zentrale Debatte über die makroökonomische Wirtschaftspolitik findet zwischen Keynesians und Austerians statt. Und die Keynesianer haben die Debatte zu diesem Zeitpunkt mit überwiegender Mehrheit gewonnen.

Die intellektuelle Basis für die Austeritätspolitik ist inzwischen, wie Paul Krugman in seinem Blog beschreibt, zusammengebrochen. Der expansive Sparkurs (expansionary austerity) hat sich im Allgemeinen als nicht plausibel erwiesen und die sog. Schulden-Schwelle von 90% ist eine fatale Täuschung.

Dennoch gibt es viele Stimmen, die darauf hinweisen, dass die Staatsverschuldung in vielen fortentwickelten Volkswirtschaften sehr hoch ist und daher Haushaltskonsolidierung stattfinden muss.

Vor diesem Hintergrund liefert Olivier Blanchard einen lesenswerten Artikel („Fiscal Consolidation: At What Speed?“) in voxeu. Während einige Faktoren darauf hindeuten, heute viel mehr zu unternehmen, legen andere Faktoren nahe, dass später mehr getan werden kann. Der Chefökonom des IWF und Daniel Leigh versuchen, diese Faktoren zu identifizieren. Die richtige Entscheidung für jedes Land hängt von der sorgfältigen Gewichtung der Faktoren ab, heben die Autoren von Anfang an hervor.

Wenn die fiskalischen Multiplikatoren gross sind, entfalten Staatsausgabenkürzungen und Steuererhöhungen kurzfristig eine grosse negative Auswirkung auf den Output. Und der Effekt auf die Schuldenstandsquote (dept-to-GDP ratio) fällt klein aus.

Es gibt mindestens drei Gründe, anzunehmen, dass die Multiplikatoren heute grösser sind als sonst, unterstreichen Blanchard und Leigh.

(1) Liegen die nominalen Zinsen nahe Null, haben die Zentralbanken wenig Spielraum, die Zinsen weiter zu senken, um die kurzfristigen negativen Auswirkungen der Haushaltskonsolidierung auf die Wirtschaft auszugleichen.

(2) Ist das Finanzsystem schwer angeschlagen, impliziert eine restriktive Fiskalpolitik, dass die gegenwärtige Konsumnachfrage viel mehr von dem gegenwärtigen als von dem künftigen Einkommen abhängt. Das gilt auch für Investitionen, die eher von den gegenwärtigen als die von künftigen Ertragsaussichten abhängen.

(3) Eine Reihe von empirischen Studien belegen, dass die fiskalischen Multiplikatoren in Zeiträumen von schweren Konjunktureinbrüchen viel grösser sind als sonst. Es gibt hierzu jedoch auch einen abweichenden Standpunkt (2013), welcher von Owyang, Ramey und Zubairy vertreten wird.

Der erste Grund, der für backloading (statt für frontloading) spricht, sind die Multiplikatoren, die heute grösser sind als in gewöhnlichen Zeiten.

Der zweite Grund, der backloading stützt, ist, dass die Wirtschaft anfällig ist, erneut in Rezession zu geraten, wenn das Wachstum schwach ist. Haushaltskonsolidierung ist riskanter, wenn das Wachstum niedrig ist, als wenn das Wachstum nahe auf dem normalen Niveau verläuft. Ein negativer Schock im Hinblick auf das Wachstum kann daher, wenn das Wachstum ohnehin sehr schwach ist, zu einem Teufelskreis führen, erklären die Autoren weiter. Ein Rückgang des Wachstums von z.B. 4% auf 2% kann auf notleidende Kredite nur eine moderate Auswirkung entfalten. Aber ein Rückgang des Wachstums von z.B. 0% auf -2% hätte auf die Wirtschaft einen viel grösseren Einfluss, wo die angeschlagenen Banken sofort die Kreditvergabe einschränken würden, was weiter auf dem Wachstum lasten würde.

Der dritte Grund zu Gunsten von backloading ist, dass Haushaltskonsolidierung das Risiko in sich birgt, langfristige wirtschaftliche Schäden anzurichten, und zwar durch den Hysterese-Effekt (siehe mehr dazu hier).

in Hysterese-Prozess verlinkt nämlich den kurzfristigen Zyklus mit dem langfristigen Trend, sodass die Effekte der restriktiven Fiskalpolitik anhaltend werden. Geht man von grösseren Multiplikatoren aus als sonst üblich ist, wirkt sich der Hystereris-Effekt stärker aus. Solange die Arbeitslosenquote relativ niedrig ist, gibt es nur wenige Langzeitarbeitslose. Wenn die Arbeitslosigkeit aber weiter steigt, steigt auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen schnell an.

Die Motivation hinter Haushaltskonsolidierung ist laut Autoren, dass eine hohe Verschuldung Kosten und Risiken präsentiert, und die Verschuldung daher rasch abgebaut werden müsse. Das Lehrbuch fokussiert hierbei auf zwei Arten von Kosten: 

(a) Verdrängung des Kapitals durch die Verschuldung und 

(b) Verzerrungen durch höhere Steuern. Beide Faktoren reduzieren das Wachstum. 

Es gibt aber weitere zwei Faktoren, die berücksichtigt werden müssten: 

(i) Schulden-Überhang: Wenn die Anleihe-Gläubiger denken, dass der Staat zahlungsunfähig werden dürfte, verlangen sie eine Risikoprämie und einen höheren Zinssatz. Im Sog der Finanzkrise von 2008 kam es z.B. zu einer Flucht in sichere Staatsanleihen. Die Unsicherheit verbunden mit der Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit (default) füttert die Unsicherheit über Steuern und die Inflation, legen die Autoren dar. Und all diese Effekte führen dazu, dass das Wachstum schrumpft. 

(ii) Das Risiko von „multiplen Gleichgewichten“ (multiple equilibria). Wenn der Verschuldungsgrad hoch ist, aber nicht so hoch, dass default sicher ist, ergeben sich möglicherweise sich selbst erfüllende zwei Gleichgewichte: ein „gutes“ und ein „schlechtes“. Das „gute“ Gleichgewicht entsteht, wo die Investoren daran glauben, dass die Wahrscheinlichkeit von default gering ist und daher niedrige Verzinsung fordern. Das „schlechte“ Gleichgewicht entsteht, wenn die Investoren daran glauben, dass die Wahrscheinlichkeit von default höher ist und daher eine höhere Verzinsung verlangen, um das Risiko auszugleichen, was es aber dem Staat erschwert, den default-Fall zu vermeiden und damit die Erwartungshaltung der Investoren nährt.

Blanchard und Leigh betonen, dass die Situation, da es fast unmöglich ist, zu wissen, wie die Investoren reagieren, mit der die Entscheidungsträger konfrontiert sind, als „Knightian“-Unsicherheit beschrieben werden kann. Der umsichtige Ansatz mit „unknown unknown“ umzugehen ist, sich aus der Gefahrenzonen zu entfernen. Aber wie, ist nicht offensichtlich.

Eine Möglichkeit, um das Entstehen von multiplen Ungleichgewichten ist, dass die Zentralbank die Bereitschaft signalisiert, zu intervenieren, um das gute Gleichgewicht wiederherzustellen. Grossbritannien hat zwar viel mehr Schulden als Spanien. Aber während die Rendite der britischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit heute 1,73% beträgt, beläuft sich die Rendite der vergleichbaren spanischen Staatsanleihen auf 4,04%. Während die Bank of England (BoE) die lender of last resort-Funktion ausübt, begnügt sich die EZB lediglich mit dem OMT-Programm, um das sog. Redenomination Risiko abzuwehren.

Wie entfernt man sich aber von der Gefahrenzone? Die Evidenz zeigt, dass es auf die Glaubwürdigkeit ankommt. Die Gefahrenzone kann deswegen nicht mit einer Schwelle von 90%-Schulden-im Verhältnis-zum BIP festgelegt werden. Die Antwort auf die Frage, ob frontloading (d.h. sich am Anfang viel zu viel vorzunehmen) die Glaubwürdigkeit steigert, ist nein.

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