Sonntag, 6. Januar 2013

Findet in Europa „Fiskalisierung“ der Geldpolitik statt?


James Bullard, der Präsident der regionalen Federal Reserve Bank von St. Louis hat neulich in einem Vortrag („The Global Battle Over Central Bank Independence“) vor einer Politisierung der Zentralbanken gewarnt und als Beispiel auf die EZB hingedeutet.

Bullard betrachtet Stabilisierung via Fiskalpolitik irritierend als eine zwangsläufige Gefährdung der Unabhängigkeit der Zentralbank und scheint die europäische Geldpolitik zu missverstehen und übersieht das offensichtliche Beispiel der jüngsten Ereignisse in Japan, antwortet Tim Duy in seinem Blog darauf.

Bullard beschreibt am Anfang seiner Rede die gängige Meinung, was das Verhältnis zwischen Fiskal- und Geldpolitik betrifft. Die Fiskalpolitik legt den Schwergewicht grundsätzlich auf die mittlere und längere Sicht, da sie für kurzfristige Stabilisierung schlecht geeignet ist. Kurzfristig steuert die Geldpolitik das Ruder, oder genauer gesagt, eine unabhängige monetäre Behörde. Bullards Schilderung gerät jedoch schnell aus den Fugen:

Die Zentralbank der G7 Länder stossen mit nominalen Zinsen auf die Null Grenze (zero lower bound).
Dies führt dazu, dass viele beginnen, über die Notwendigkeit von Fiskalpolitik zu reden und makroökonomische Stabilisierungspolitik durchzuführen.
Die üblichen politischen Hürden verschaffen sich Geltung und lösen ein finanzpolitisches Durcheinander aus, nicht besonders mit makroökonomischen Ereignissen im Einklang stehend.

Die Null Grenze (zero lower bound) an sich hat das Interesse an Stabilisierung durch Fiskalpolitik nicht gesteigert. Es war ganz im Gegenteil die Unfähigkeit der Zentralbanken, die wirtschaftliche Aktivität zu stabilisieren, was das Augenmerk auf die Fiskalpolitik gerichtet hat, argumentiert Duy, mit dem Hinweis auf die Lücke zwischen privaten Ersparnisse und Investitionen.


Private Ersparnisse und Investitionen, Graph: Prof. Tim Duy in Tim Duy’s Fed Watch

Wie gross die Lücke ist, kann man anhand der folgenden Abbildung besser sehen.


Private Ersparnisse minus private inländische Investitionen, Graph: Prof. Tim Duy

Was ist also der Unterschied? Das Ausmass der Verlagerung. Während es vernünftig ist, anzunehmen, dass die Geldpolitik als Instrument für die Stabilisierung von relativ kleinen Störungen in Bezug auf Wirtschaftstätigkeit vorzuziehen ist, ist es nicht offensichtlich, dass dasselbe auch für grosse Störungen gilt, v.a. wenn die Wirtschaft auf der Null Grenze liegt. Es ist in der Tat die anhaltende Produktionslücke (output gap), die das Interesse an der Fiskalpolitik ausgelöst hat, nicht die Null.Grenze selbst, erklärt der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor. Glaubt aber Bullard, dass die US-Wirtschaft heute ohne fiskalpolitische Antwort  in einem besseren Zustand wäre?

Es ist auch nicht ganz klar, von welchen „politischen Hürden“ Bullard spricht. Aber Duy meint, dass der Aufstieg der Austerians das Haupthindernis für eine wirksame Fiskalpolitik ist, die glauben, dass das Wirtschaftswachstum nur durch Defizitabbau erreicht werden kann. Man würden denken, dass die Ereignisse im Euro-Raum diese Ansicht diskreditiert hätten, weil es immer offensichtlicher wird, dass die Fiskal-Multiplikatoren grösser sind als bisher angenommen. Aber Bullard ist davon offensichtlich nicht abzubringen.

Bullard scheint ausserdem den Beweis finden zu wollen, dass die Geldpolitik heute dennoch eine wirksame Konjunkturpolitik bieten kann. Die Inflation ist im Allgemeinen nahe Zielwert gelieben, anstatt dramatisch zu fallen, legt Bullard dar. Aber er ignoriert die Evidenz, dass die Inflation nicht dramatisch fallen kann, wenn die Löhne nach unten starr (nominal wage rigidities) sind. Was Bullard ferner nicht berüchsichtigt, ist die hohe Arbeitslosigkeit oder die Produktionslücke (output gap).

Bullard behauptet, dass die Geldpolitik in Europa wegen des Ankaufprogramms der EZB für Staatsanleihen aus der Peripherie (OMT) "fiskalisiert“ wird.

Hier werden aber Äpfel mit Oragen verwechselt. Es geht um das Thema, ob die Fiskalpolitik auf kurze Sicht als Instrument für die Stabilisierung der Wirtschaft eingesetzt werden kann oder nicht. Nur im Phantasie-Land der Austerians stabilisiert Fiskalpolitik die europäische Wirtschaft, hält Duy fest. Bullard argumentiert, dass die Geldpolitik wegen OMT die Unabhängigkeit verliert. Das Problem ist aber, dass genau das Gegenteil wahr ist. Es ist die Fiskalpolitik, die auf Gedeih und Verderb der EZB schutzlos ausgeliefert ist.

Mit dem Versprechen, Staatsanleihen von den von der Euro-Krise am stärksten betroffenen Staaten zu kaufen, monetisiere die EZB die Schulden, warnt Bullard. Die EZB war aber gezwungen, als Zentralbank die „lender of last resort“- Aufgabe zu erfüllen. Bullard scheint daher kein Verständnis für die komplexe Wirtschaftspolitik Europas aufzubringen. Die EZB ist nicht in die Rolle der Fiskalpolitik gezogen worden, wie sie die Rolle der Geldpolitik ausüben muss. 

Das europäische Experiment hat laut Duy mit grossen strukturellen Störungen begonnen. Es fehlt an einer gemeinsamen Fiscal Authority. Eine Zentralbank, die sich nicht verpflichtet fühlt, als lender of last resort zu agieren, befürwortet tendenziell Austeritätspolitik, auch im Angesicht einer sich vertiefenden Rezession. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. Eine Standardanalyse einer Zentralbank ohne ein deutliches fiskalisches Gegenstück macht daher keinen Sinn. Europa ist wegen der schlechten Politik in allen Bereichen geplagt, unterstreicht Duy.

Fazit: Es ist eine verwirrende Rede von Bullard. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass die Unabhängigkeit der Geldpolitik gefährdet ist. Die Umsetzung der Fiskalpolitik bedeutet nicht unbedingt, dass die Geldpolitik die Unabhängigkeit verliert. Die Währungsbehörde kann es immer noch vorziehen, sich gegen die Fiskalpolitik zu stellen. Der Verlust an Unabhängigkeit käme zum Vorschein, wenn die Zentralbank eine Fiskalpolitik unterstützen würde, in einer Art und Weise, dass die Inflation kräftig anzieht.

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