Sonntag, 8. April 2012

Sparmassnahmen erhöhen Vertrauen nicht


(Nur für Streber)

Die Fiskalpolitik ist die einzige Möglichkeit, erklärt Brad DeLong in einem lesenswerten, aber extrem komplex verfassten Artikel („Spending cuts to improve confidence? No, the arithmetic goes the wrong way”) in voxeu.

Es ist sicherlich so, dass ein Europa mit seiner wackeligen Kreditwürdigkeit die Wirtschaft durch die Verfolgung einer Ausgaben-basierten Reduzierung des Haushaltsdefizits ankurbeln kann, was das Vertrauen in Staatsanleihen steigern würde, legt der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor dar.

Mit einem Hinweis auf eine neo-Wicksellschen Gleichgewicht-Formel mit Geldstromanalyse (flow of funds) an den Kapitalmärkten bekräftigt DeLong seine Argumentation, wie das kurzfristige Gleichgewicht der wirtschaftlichen Aktivitäten (Y) wiederbelebt werden kann:

Savings [Y] – NX = ∆ Bond holdings [i – π, ρ]

Auf der linken Seite der Gleichung ist der Netto Fluss von privaten Ersparnissen in den Finanzmarkt dargestellt: es sind private Ersparnisse im Inland, die vom Niveau der wirtschaftlichen Aktivität abhängen (d.h. Y) abzüglich Netto-Exporte (NX).

Auf der rechten Seite der Gleichung ist die Veränderung der geplanten Positionen an Anleihen durch Banken und andere Investoren dargestellt, was eine Funktion der Risikobehaftung im Hinblick auf die Anleihen ρ und der realen Opportunitätskosten des Geldes an Banken ist, d.h. der Differenz zwischen dem Nominalzins i und der erwarteten Inflation ∏ ist, d.h. ∆B [i - ∏,ρ].

Produktionslücke (output gap), Graph: Brad DeLong and Larry Summers in „Fiscal Policy in a Depressed Economy“, March 20, 2012


(1) durch eine Abwertung, welche Netto-Exporte (NX) steigert, (2) durch die Geldpolitik, die den Zinssatz (i) reduziert, (3) eine Verpflichtung durch die Zentralbank in Bezug auf eine höhere künftige Inflation, welche die Inflationserwartungen (π) erhöht, und (4) durch Massnahmen, die das Risiko verringert, Staatspapiere zu halten, anhand von Massnahmen wie z.B. Kreditgarantien, Rekapitalisierung des Finanzsektors und einen Haushaltsplan, der darauf abzielt, das Risiko de Haltens von privaten oder öffentlichen Papieren reduziert, die vor der Gefahr eines Zahlungsausfalls (default) bedroht sind oder durch einen weniger als vollständig freiwilligen Anleihe-Austausch oder eine unerwartete Inflation.

In einer Situation, wo eine Volkswirtschaft an der Untergrenze von Null steht, und die Zinsen nicht weiter gesenkt werden können, kann die Zentralbank π nicht erhöhen und eine Gemeinschaftswährung eine Währungsabwertung ausschliesst, um NX zu steigern, ist die einzige Möglichkeit, die Risikobehaftung der Anleihen zu reduzieren.


Anlageinvestitionen als Anteil am Wachstumspotenzial, Graph: Brad DeLong and Larry Summers in „Fiscal Policy in a Depressed Economy“, March 20, 2012

Ein Staat wie die USA mit Kreditwürdigkeit hätte kein Problem, die Risikobehaftung (ρ) des Bestandes an Anleihen zu reduzieren. Die Regierung würde einfach mehr Staatspapiere ausgeben und das Geld für Projekte mit sozialer Nützlichkeit ausgeben. Weil die Kreditwürdigkeit gut ist, wären die Papiere automatisch weniger riskant als der Durchschnitt und die durchschnittliche Risikobehaftung der Papiere würde sinken, erläutert DeLong.

Und wenn ein Staat mit einer angeschlagenen Kreditwürdigkeit einen glaubwürdigen Finanzplan verabschiedet, würde auch die Risikobehaftung des Bestandes an Anleihen verringern können.

Wie sieht aber ein glaubwürdiger Fiskalplan aus?

Auf die lange Sicht muss die Finanzierung des Sozialversicherungssystems mit Steuern stimmen. Auf kurze Sicht verlangt aber ein glaubwürdiger Fiskalplan keine Sparmassnahmen, v.a. wenn die Wirtschaft in einer Depression steckt, legt DeLong dar.

Denn wenn es überhaupt irgendeinen (a) kurzfristigen keynesianischen Multiplikator gibt, selbst einen so niedrigen wie ½ und wenn es einen (b) Hysterese-Effekt gibt, selbst einen so niedrigen wie 1/10, dann würden kurzfristige Ausgabenkürzungen für ein westeuropäisches Land das langfristige finanzwirtschaftliche Bild verschlechtern, solange die realen langfristigen Finanzierungskosten des Staates unter 5% bleiben.

Fazit: Höhere Staatsausgaben finanzieren sich selbst, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Wenn die Wirtschaft z.B. in einer Liquiditätsfalle steckt und die Zinsen nicht unter Null gesenkt werden können.

In einer solchen Situation gilt es daher, das Augenmerk nach zwei Aspekten zu richten: (1) Multiplikatoreffekt und (2) Hysterese-Effekt, wie DeLong mit Summers in einer neulich vorgelegten und viel beachteten Forschungsarbeit („Fiscal Policy in a Depressed Economy“) hervorheben.

Die Multiplikatorwirkung ist i.d.R., d.h. in normalen Zeiten gering. Wenn die Geldpolitik aber in einer Depression an Zugkraft verliert, entfaltet der Multiplikator eine starke Wirkung.

Unter „hysteresis effect“ ist die weitgehende Beeinträchtigung des Wirtschaftspotenzials (potential output) einer Volkswirtschaft durch die anhaltende, tiefe Rezession zu verstehen: eine depressive Wirtschaft, wo Investitionen niedrig sind, der Kapitalstock schleppend verläuft und die Langzeitarbeitslosigkeit sich ausweitet. Die Arbeitnehmer ohne Beschäftigung beobachten, wie ihre beruflichen Fertigkeiten (Qualifikationen) mit offenen Stellen nicht mehr übereinstimmen und ein moralischer Zerfall droht.

Höhere Staatsausgaben können daher durch beide Effekte das Wirtschaftspotenzial des Landes steigern, sodass die Steuereinnahmen, die in Zukunft erzielbar sind, die Mehrausgaben während der Depression völlig ausgleichen. Die Voraussetzung ist allerdings, dass der Realzins einen bestimmten Wert (*) nicht übersteigt.

(*) Die Formel dafür lautet: r < g + Τ  η μ / (1 – μ Τ) = 5%.

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