Montag, 29. August 2011

EZB und ihre Paranoia über Inflation


Die EZB hat im Juli 2008 am Vorabend der grössten Finanzkrise seit Menschengedenken etwas getan, was sowohl vorhersehbar als auch dumm war, schreibt James Surowiecki in einem lesenswerten Artikel („Europe’s Big Mistake“) in The New Yorker. Die EZB hat die Zinsen erhöht.

Der Beschluss war vorhersehbar, weil EZB-Präsident Jean-Claude Trichet ein Inflation Hawk ist. Er war besorgt über die steigenden Öl- und Nahrungsmittelpreise.

Der Beschluss war auch bemerkenswert ungelegen. Die Krise war bereits im Gange und das Wirtschaftswachstum in Euro hatte sich auf ein Schnecketempo verlangsamt. Innerhalb von ein paar Monaten ist die Weltwirtschaft zusammengebrochen und die Inflation ist verschwunden.

Die EZB war gezwungen, die Zinsen zu senken, in dem Versuch, eine wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden. Die Zinserhöhung im Juli hat die Wirtschaft weiter nach unten gedrückt.


Europe’s Big Mistake, Illustration: The New Yorker

Man könnte meinen, dass die EZB aus der Erfahrung lernt, bemerkt der amerikanische Journalist weiter. Aber nein. Europa hat in diesem Jahr mit hoher Arbeitslosigkeit, dem langsamen Wachstum und einer anhaltenden Schuldenkrise gerungen, während Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien versuchten, einen Zahlungsausfall (default) zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund hätte Trichet die Zinsen unverändert lassen können, wie die Fed und die Bank of England. Nein. Die EZB hat die Zinsen zunächst im April und dann im Juli noch einmal angehoben. Wie abgesprochen ist das Wirtschaftswachstum in Europa wieder ins Stocken geraten. Die Schuldenkrise hat sich vertieft.

„Das Versagen der EZB ist nicht bloss das Ergebnis des schlechten Urteilvermögens, sondern der Besessenheit. Die Besessenheit mag die Probleme Europas nicht geschaffen haben, aber sie hat sie verstärkt“, bekräftigt Surowiecki. „Europas wirtschaftliche Probleme laufen auf zwei Themen hinaus: zu viele Schulden und zu wenig Wachstum“, hebt der Autor hervor.

Durch die Anhebung der Zinsen hat die EZB die Finanzierungskosten erhöht und das Wirtschaftswachstum verlangsamt. Die EZB hat also genau das Gegenteil getan, was nötig war. „Die Massnahmen der EZB waren besonders schädlich, weil sie zu einem Zeitpunkt erfolgten, als die europäischen Länder als Reaktion auf die Finanzkrise gezwungen wurden, strenge Sparmassnahmen (fiscal austerity) zu ergreifen, durch Senkungen der Staatsausgaben und die Erhöhung der Steuern“, legt Surowiecki. Wenn die Fiskalpolitik kontraktiv ist, kann eine expansive Geldpolitik helfen, die Wirtschaft anzukurbeln. Das ist, was die Fed versucht, zu tun, wenn auch nicht aggressiv genug. Die EZB hingegen hat beschlossen, den geldpolitischen Kurs zu straffen, was bedeutet, dass sowohl die Fiskal- als auch die Geldpolitik das Wirtschaftswachstum bremsen.

„Die verwirrende Sache über den EZB-Ansatz ist, dass es schwer ist, zu sehen, wer davon profitiert. Die herkömmliche Erklärung ist der anti-inflationäre Eifer ist, der inbesondere in Deutschland vorherrscht. Kontinents stärkere Volkswirtschaften brauchen keine Wachstumshilfe und sie mögen die Tatsache nicht, dass die Inflation den realen Wert des Vermögens reduziert“, argumentiert Surowiecki weiter.

„Deutschland will niedrige Inflation. Deutschland gewinnt“, so der Autor.

„Doch gerade jetzt würde der ganze Kontinent von „easy money“ profitieren. Deutschlands Wirtschaft ist im abgelaufenen Quartal nur um 0,1% gewachsen, langsamer als die US-Wirtschaft. Die Krise lastet auf Deutschlands Banken, die stark Kredite an die EU-Peripherie verliehen. Der EZB-Ansatz war einst, grossen Volkswirtschaften Europas auf Kosten der kleineren zu helfen. Die gegenwärtige Strategie des knappen Geldes (tight-money) schadet aber derzeit jeder Volkswirtschaft“, hält Surowiecki fest.

„Heute stellen steigende Preise keine echte Bedrohung für Europa dar. Es sind Rezession und Zahlungsausfälle. Die Preise in Europa sind, wo die Inflation 2,5% beträgt, nicht instabil“, beschreibt der Autor. „Trichet riskiert, die Fehler der früheren 1930er Jahren zu wiederholen, als die Zentralbanken eine Politik des knappen Geldes verfolgten und der Eifer für die Fiscal Austerity eine schlechte Situation noch schlimmer machte“. Surowiecki erinnert daran, dass „es Depression war, nicht Hyperinflation, die die Weimerer Regierung stürzte und Hitler an die Macht brachte“. In diesem Jahr hat die EZB mit der Abwehr des Phantoms der Inflationsgefahr viel Zeit zugebracht. Es ist nun Zeit, der realen Gefahr der Rezession ins Gesichts zusehen.

Keine Kommentare: