Dienstag, 14. Juni 2011

Sind Banken Unternehmen?

(Wonkish)

In der Debatte über die Finanzreform geht es bei einem der grossen Themen um die Notwendigkeit, die öffentliche Hand vor den Kosten der künftigen Rettungsaktionen (bailouts) zu schützen, und zwar durch die Anforderung an die Too-big-to-fail Banken, ein höheres Puffer an Eigenkapital zu halten. Die Bank-Lobby aber argumentiert, dass die erhöhten Eigenkapitalanforderungen die Finanzierungskosten und damit den Kreditpreis steigern würden. Die Ökonomen tragen dazu mit einem Standard-Argument bei: Modigliani-Miller Theorem. Leider funktioniert das Argument nicht, wie seine Befürchworter glauben, weil Banken nicht wie die normalen Unternehmen sind, auf die sich das Theorem bezieht, bemerkt Perry Mehrling in seinem Blog.

Das Modigliani-Miller Theorem besagt, dass das Schneiden einer Pizza in mehrere Scheiben oder in quadratische Scheiben anstatt kuchenförmige Scheiben an der Grösse der Pizza nichts ändert. Mehr technisch: Unter bestimmten Annahmen kann laut Mehrling gezeigt werden, dass der Wert eines Unternehmens nicht von der Kapitalstruktur, insbesondere dem Anteil der Kapitalstruktur, nämlich dem Eigenkapital betroffen ist.


Bank als Dealer, Graph: Prof. Perry Mehrling, in: The New Economic Thinking.

Die Anwendung dieser Denkweise auf die Banken sollte grundsätzlich am Marktwert der Banken nichts ändern und daher die Finanzierungskosten nicht beeinträchtigen. Wenn sich in der Praxis herausstellt, dass die Kosten der Finanzierung doch ein wenig steigen sollten, käme das daher, dass der Markt die implizite Aufforderung an die öffentliche Hand (Rettungsmassnahmen zu treffen) als einen Vermögenswert des Unternehmens betrachtet. Das ist eigentlich etwas, was die Finanzreform bezweckt, zu beseitigen, beschreibt der am Barnard College, Columbia University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Mehrling deutet in diesem Zusammenhang auf eine in Kürze erscheinende Forschungsarbeit („Regulating Money Creation after the Crisis“) von Morgan Ricks hin. Prof. Ricks stellt die Frage, ob das Modigliani-Miller Theorem auch für maturiy-transformation Unternehmen (Fristentransformation für Banken) gilt? Seine Antwort: Nein. „Ricks ist Rechtsanwalt. Seine Argumentation ist aber tadellos wirtschaftswissenschaftlich“, hebt Mehrling hervor. Nach Ricks Einschätzung, nicht die Pizza-Scheiben-Analogie, beruht die zugrunde liegende Logik des Modigliani-Miller Theorems auf Arbitrage. Der Grund, warum die Kapitalstruktur für den Wert des Unternehmens nicht entscheidend ist, dass die Investoren die Kapitalstrukturentscheidungen der Unternehmensleitung rückgängig machen können, und zwar durch eigene Portfolio-Entscheidungen. Insbesondere, wenn sie ein höheres Risiko wollen als die Eigenkapitalausstattung bietet, können sie das Eigenkapital hebeln (leverage), unterstreicht der Autor des Buches "The New Lombard Street".

Ricks erklärt, dass das Arbitrage-Argument im Fall von Banken scheitert, weil die Banken sich mit monetären Verbindlichkeiten finanzieren können, die Investoren nicht. Wenn Banken gezwungen werden, sich längerfristig und mit Eigenkapital zu finanzieren, wären sie nicht mehr Banken, sie wären Finanzunternehmen. Und die ehemaligen Inhaber von Geldforderungen wären nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun, da ihre Verbindlichkeiten nicht als Geld herreichen.

Der entscheidende Punkt ist nicht so sehr, dass die Banken sich in einem Markt finanzieren können, der für den Rest von uns unzugänglich ist, was wir ja seit der Beobachtung der Schatten-Banken besser wissen, dass Nicht-Banken auch Zugang haben. Der enscheidende Punkt ist, dass die Finanzierung am Geldmarkt zu einem niedrigeren Zinssatz als auf dem Kapitalmarkt erfolgt. Die Gesellschaft ist offenbar bereit, eine Prämie (d.h. geringerer Ertrag) zu zahlen, um Geld- anstatt Kapitalforderungen zu halten, legt Mehrling dar. Woran liegt das?

Ricks sagt es nicht und auch die Standardbücher (Wirtschaft und Finanz) sagen darüber nichts. Die resultierenden Anomalien (das Versagen der Erwartungshypothese der Terminstruktur) in bezug auf die Vermögenspreise bleiben vorerst rätselhaft. Für die vorliegenden Zwecke ist aber die drängende Frage, ob dies bedeutet, dass die Bank-Lobby Recht hat, um die Forderungen nach mehr Eigenkapital zurückzuweisen. „ÜBERHAUPT NICHT. Es bedeutet nur, dass wir einen anderen intellekturellen Rahmen brauchen, um über das Problem nachzudenken. Wir brauchen money view“, schlussfolgert Mehrling.

Ganz allgemeine gesehen ist eine Bank eine besondere Art von Dealer (Händler), sodass die Frage der angemessenen Kapitalausstattung einer Bank eine grössere Frage über die angemessene Kapitalausstattung der Dealer im allgemeinen ist, die sich v.a. kurzfristig am Interbankengeldmarkt für Banken (wholesale money market) finanzieren, z.B. über Repo-Geschäfte. Deswegen ist neues Denken (new thinking) erforderlich.

PS:
Modigliani-Miller Theorem befasst sich mit dem Einfluss des Verschuldungsgrads eines Unternehmens auf dessen Kapitalkosten. Die Hauptaussage lautet, dass unter bestimmten Annahmen die Kapitalstruktur irrelevant für den Marktwert eines Unternehmens ist.

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