Sonntag, 21. Juni 2009

Warum Inflation keine Gefahr ist

Der Welthandel ist zum Erliegen gekommen. Alle Indikatoren verweisen derzeit auf einen abnehmenden Preisdruck. Dennoch warnen viele Volkswirte vor einer ausufernden Inflation, weil die Geldmenge sich ausserordentlich ausweitet. Daraus zu schliessen, dass die Fed uns in die Inflation zieht, bezeichnet Alan S. Blinder heute in einem interessanten Essay in The New York Times als „weitgehend inkompetent“. Die klare und gegenwärtig vorhandene Gefahr sei sowohl für heute als auch für das kommende Jahr (sogar zwei Jahre) nicht Inflation, sondern Deflation, schreibt Wirtschaftsprofessor von der Princeton University weiter. Die Verbraucherpreise fallen in den USA den dritten Monat in Folge, bemerkt der ehemalige Vize-Präsident der US-Notenbank.


Welthandel, Graph: OECD: „Policy Responses to the Economic Crisis: Investing in Innovation for Long-Term Growth”, June 2009

Es sei wahr, dass der fallende Erdölpreis den Hauptgrund für die Deflation darstellt. Die Kernrate des Konsumentenpreisindexes (CPI) schwankt seit sechs Monaten in einer Bandbreite von 1,7 bis 1,9%. Die empirische Erfahrung zeigt, dass die konjunkturelle Schwäche die Inflation zurückdrängt. Die Kernrate der Inflation dürfte laut Blinder, der die Politiker der Demokratischen Partei berät, für 2010 oder 2011 auf nahe Null, ja sogar ins Negative fallen. Ben Bernanke und seine Kollegen machen Überstunden, um die Deflation zu bekämpfen. Die Fed hat die Zinsen auf nahe Null Prozent gesenkt und wehrt sich gegen die Rezession mit einem unkonventionellen Kurs, der „quantitative easing“ (mengenmässige Lockerung) genannt wird. Aufgrund der alternativen Geldpolitik wachsen jedoch Bankreserven, die normalerweise zu Inflation führen. Heute seien aber die Zeiten nicht normal. Deshalb sind die Besorgnisse über Inflation fehlgeleitet, hält Blinder fest. Die Fed sei nicht unfehlbar. Es gäbe drei Möglichkeiten, die zu beachten sind: (1) Die Fed kann falsch liegen, indem sie ihren gegenwärtigen Kurs „zu langsam“ zurückfährt, was in Inflation einmünden würde. Die Fed könnte aber die Liquidität „zu schnell“ zurückziehen. In diesem Fall würde die Erholung der Wirtschaft im Keim erstickt und die Deflation würde aufkommen. (2) Die Fed ist sich des Exit-Problems bewusst. Die US-Notenbank arbeite daran und sie sei kompetent genug, das Inflationsziel unter der Marke von 2% zu halten. Sie kann aber ihr Ziel verfehlen und die Inflation könnte am Ende der Krise bei 3 oder 4% landen, aber bestimmt nicht bei 8 oder 10%. (3) Die Fed dürfte mit ihrem Exit-Prozess beginnen, während die Wirtschaft noch unter Vollbeschäftigung agiert und die Inflation unter dem Zielwert verläuft. Auf diese Weise wäre ein moderater Inflationsanstieg nicht unangenehm. Die Fed müsste also nicht scharf vorgehen. Den gegenwärtigen Anstieg der Renditen für US-Treasuries bewertet Blinder als Normalisierung. Er verweist auf die Inflationserwartungen, die als Differenz zwischen der Rendite der US-Staatsanleihen und den sog. TIPS (inflationsgeschützten Treasuries) ermittelt werden. Gemessen an 5-jährigen US-Staatsanleihen betragen die Inflationserwartungen heute rund 1,6%. Die Daten für die 10-jährigen US-Staatsanleihen zeigen Inflationserwartungen um den Wert von ca. 1,9%. Das ist genaue die von der Fed verfolgte Zielgrösse. Alan Blinder hat recht. Tatsächlich handelt es sich bei der heute zunehmenden Angst vor der Inflation eher um eine Ansammlung von fehlgeleiteten Stimmungen, als um harte Fakten.

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